Ich wollte eigentlich schon länger einen Artikel über die kognitive Dissonanz schreiben, doch wie das Leben so spielt, musste ich erst einmal wieder selbst erfahren, wie sich dieser Begriff aus der Sozialpsychologie im richtigen Leben anfühlt.
Und so bekam ich die Feiertage über gleich zweimal die Gelegenheit Menschen zu erleben, die wahrlich Schmerzen verspürten, als ich ihnen meine Einstellung kundtat und ihnen Informationen zukommen ließ, die nicht ihrem indoktrinierten, anerzogenen Weltbild entsprachen.
Es ist ziemlich schwierig bzw. nicht authentisch, wenn man über Dinge schreibt, die man bisher nur aus der Theorie kennt und so durfte ich die kognitive Dissonanz leibhaftig spüren. Jetzt weiß ich auch, wie sich das anfühlt, bei den anderen. Dies gelingt einem sehr gut, wenn man empathisch ist, denn nur so kann man das auch nachempfinden.
Und so bekam ich die Gelegenheit gleich zweimal, einmal innerhalb der Familie und einmal über meinen Nachbar. Mein Resümee daraus ist: Es macht keinen Sinn, jemandem mit einem gefestigten Weltbild neue Informationen zukommen zu lassen. Die Reaktionen sind fast immer die gleichen: Wut, Verzweiflung, Angst, Abwehr. Emotionaler Schmerz, welcher so ziemlich jede Zelle durchdringt.
Kognitive Dissonanz
Nehmen wir den Begriff einmal auseinander:
Wikipedia erklärt es so:
Kognition (von lateinisch cognoscere ‚erkennen‘, ‚erfahren‘, ‚kennenlernen‘) ist die von einem verhaltenssteuernden System ausgeführte Informationsumgestaltung.
Kognition ist ein uneinheitlich verwendeter Begriff, mit dem auf die Informationsverarbeitung von Menschen und anderen Systemen Bezug genommen wird. Oft ist mit „Kognition“ das Denken in einem umfassenden Sinne gemeint.
Zu den kognitiven Fähigkeiten eines Menschen zählen u. a. die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, die Erinnerung, das Lernen, das Problemlösen, die Kreativität, das Planen, die Orientierung, die Imagination, die Argumentation, die Introspektion, der Wille, das Glauben und einige mehr. Auch Emotionen haben einen wesentlichen kognitiven Anteil. Kognitive Fähigkeiten werden von verschiedenen Wissenschaften wie der Psychologie, der Biologie, den Neurowissenschaften, der Psychiatrie, der Philosophie und der Künstlichen-Intelligenz-Forschung untersucht. Die wissenschaftliche Erforschung der Kognition wird unter dem Begriff der Kognitionswissenschaft zusammengefasst.
So weit, so gut... Bei der Kognition geht es also um das Erkennen, das Erfahren und das Kennenlernen.
Kommen wir zur Dissonanz. Die Dissonanz kennen viele aus der Musik und zwar wenn Töne nicht in einer harmonischen Reihenfolge abgespielt werden (hier ein kleines Beispiel).
Hier gefällt mir die Definition aus dem Duden besser:
- Zusammenklang von Tönen, der als nicht harmonisch, nicht als Wohlklang empfunden wird [und nach der überlieferten Harmonielehre eine Auflösung fordert]
- Unstimmigkeit, Differenz
Die Synonyme dazu sind:
- Differenz, Meinungsverschiedenheit, Reibereien, Uneinigkeit, Unstimmigkeit; (gehoben) Friktion; (bildungssprachlich) Disharmonie, Divergenz, Kontroverse; (umgangssprachlich) Knies
- Missklang, Misston; (Musik) Diafonie, Disharmonie; (Musik, Sprachwissenschaft) Kakofonie
Verbinden wir nun die beiden Begriffe kommt das dabei raus:
Kognitive Dissonanz bezeichnet in der (Sozial-)Psychologie einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass ein Mensch mehrere Kognitionen hat – Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten –, die nicht miteinander vereinbar sind.
Dies wirkt sich verschiedentlich aus. Die meisten Menschen jedoch geraten in einen Abwehrmechanismus, um keine weiteren Informationen aufnehmen zu müssen. Sie machen sprichwörtlich "dicht". Das gelingt ihnen gut, in dem sie in die Wut gehen und dem Gegenüber (also dem Informanten) so klarzumachen versuchen: Jetzt ist Schluss!!!
Der Gegenpart zur Dissonanz ist übrigens Konsonanz. Hier befinden man sich im "Zusammenklang" miteinander. In der Psychologie nennt man den Optimalzustand die Konsistenz, dann wenn sich logische Zusammenhänge bilden.
Kognitive Dissonanz erleben wir auf beiden Seiten
Ich werde oft gefragt, wie wir es schaffen, andere von der "Wahrheit" zu überzeugen, ihnen die Augen zu öffnen, für die Dinge, so wie sie (aus unserer Sicht) wirklich sind. Meine Antwort darauf: Gar nicht.
Außer, Ihr seid psychologisch gut geschult und macht von den vielen Tricks Gebrauch, welche die Psychologie dafür bereit hält. Aber das wäre Manipulation.
Ich habe es aufgegeben, irgendwen von irgendetwas zu "überzeugen". Sehen wir uns dazu die Synonyme zu dem Verb überzeugen einmal genauer an:
Auf seine Seite bringen/ziehen, beeindrucken, beeinflussen, bekehren, belehren, bewegen, bringen zu, einnehmen, einreden, erwärmen, erweichen, für sich gewinnen, gewinnen, interessieren, mitreißen, überreden, umstimmen, weichmachen, Wirkung ausüben/erzielen; (umgangssprachlich) beschwatzen, breitschlagen, [he]rumbekommen; (österreichisch umgangssprachlich scherzhaft) einkochen; (salopp) einwickeln, herumkriegen, weichkochen; (besonders süddeutsch) beschwätzen; (berlinisch salopp) belatschern; (landschaftlich, sonst veraltet) bereden; (besonders Politik abwertend) indoktrinieren [Duden]
Wollen wir, dass man das mit uns macht? Sicher nicht. Wir selbst tun allerdings nichts anderes, wenn wir versuchen jemand anderen von unserer Einstellung zu überzeugen. Dazu müssen wir wissen, dass der Mensch völlig verschieden ist. Die einen saugen Informationen auf, wie ein trockener Schwamm, die anderen achten penibel darauf, dass ihr Schwamm schön trocken bleibt. Dabei laufen die einen Gefahr, schon beinahe alles zu glauben, was man ihnen als neue Information vorlegt, die anderen hingegen glauben so gut wie gar nichts. Dem einen muss man schon fast gar nichts mehr beweisen, bei den anderen hingegen nützt kein Beweis etwas.
Und so befinden wir uns in kognitiver Dissonanz, wenn zwei völlig verschiedene Meinungen aufeinander prallen. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, welche der Meinungen nun die Richtige ist. So gesehen gibt es nämlich keine richtige oder falsche Meinung. Jeder beansprucht für sich, dass seine Meinung die richtige ist. Denn eine Meinung ist etwas zutiefst Persönliches, ja schon fast Intimes und das gilt es zu beschützen und zu verteidigen. Wenn wir also die Meinung von jemanden verändern wollen, ist das ein Angriff auf seine Persönlichkeit. Und wer will schon in seiner Persönlichkeit angegriffen werden? Also, ich nicht.
Am besten immer schön bei sich bleiben
Ich möchte noch kurz erzählen, wie es mir bei meinem Nachbarn erging. Ich war eingeladen, an seinem alljährlichen Mostfest teilzunehmen. Ich muss dazusagen, er wohnt noch nicht solange hier und wir kennen uns noch nicht so gut. Das hat mich aber nicht davon abgehalten, ihm einen kurzen Besuch abzustatten.
Also, ging ich mit meiner Freundin auf einen kleinen Umtrunk dorthin. Es waren auch Freunde von ihm anwesend, unter anderem ein Student für Bio-Chemie. Wir unterhielten uns oberflächlich, bis er anfing über Impfungen zu sprechen. Er wollte wissen, was ich davon halte.
Ich sagte ihm, dass ich Impfungen ganz toll finde und sah, wie er auf einmal in die Entspannung ging. Ihm fiel quasi ein Stein vom Herzen. Er bemängelte, dass es immer mehr Impfgegner gäbe und dass er das für unverantwortlich hält. Ich sagte ihm dann, dass ich es auch für superwichtig halte, dass man Babys schon innerhalb der ersten sechs Monate mit jeder Menge Giftstoffen vollpumpt und dass man längst eingedämmte Krankheiten, wie Diphtherie unbedingt weiter impfen müsse. So langsam kam er drauf, dass ich ihn auf die Schippe genommen habe. Ich outete mich dann als eine der bestinformiertesten Impfkritikerinnen.
Den Gesichtsausdruck hätte ich aufnehmen sollen, als die kognitive Dissonanz einsetzte und er schlagartig von einem emotionalen Schmerz überflutet wurde. Dann fing er an, mit seinen Argumenten. Am tollsten fand ich das Argument mit den ungeimpften, unverantwortlichen Kindern, die die geimpften Kinder anstecken. Auf meine Frage, wie man denn ein geimpftes Kind anstecken könne, wenn es doch gegen die Krankheit geschützt sei, gab es keine Antwort. Stattdessen brüllte er nur, er habe das schließlich studiert, also müsse er es doch besser wissen. Ich sagte ihm dann nur, er dürfe sich ja weiterhin impfen, wenn es ihn beruhigt, nur für mich wäre das halt nichts. Das machte ihn noch wütender.
Ich war mir von vorneherein bewusst, dass wir beide auf keinen gemeinsamen Nenner kommen werden. Ich sagte ihm das auch. Und so beendeten wir das Thema und sprachen den ganzen Abend nicht mehr miteinander. Er nährte sich noch eine ganze Weile an seiner Wut und ging erst einmal drei oder vier Zigaretten rauchen.
Und so bekam ich nur mal wieder die Bestätigung, dass es überhaupt keinen Sinn macht, sich mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen. Wenn jemand nicht selbst darauf kommt, sein Weltbild zu überprüfen und vielleicht auch mal zu ändern, dann schafft das auch kein anderer. Da bleib ich lieber bei mir und lebe meine Einstellung anstatt sie zu missionieren. Wer mich allerdings fragt, der bekommt natürlich auch eine Antwort.
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