Ich geh mal davon aus, dass sich bestimmt schon jeder, irgendwann einmal oder auch schon öfter, die Frage nach dem Du oder Sie gestellt hat. Vor allem in der Geschäfts-/Arbeitswelt ist die Frage des Duzens oder Siezens ein großes Thema.
Mir hat einmal ein Geschäftskollege ein zu frühes Du mit der Begründung abgelehnt, es sage sich leichter "Du Arschloch" als "Sie Arschloch". Ich sagte ihm dann, wenn er ein Arschloch sei, dann ist es mir völlig egal, wie ich ihn dann als solches bezeichne. Wenn er wert darauf lege, dann auch gerne "Sie Arschloch".
Offensichtlich wollen sich manche Menschen mit dem Sie einen gewissen Respekt verschaffen. Meine Einstellung ist jedoch: Respekt muss man sich verdienen und dann merkt derjenige schon, dass ich ihm Respekt zolle.
Das geht bei mir am besten über`s vertrauensvolle Du. Denn über das Du lerne ich jemand noch einmal ganz anders kennen. Für mich ist dann der Weg zum Kennenlernen offener als beim Sie. Ein Sie blockiert, setzt Grenzen und macht einem immer wieder klar: Bis hierher und nicht weiter. Auch was die Vertraulichkeit angeht, da sind wir beim Sie von vornherein gehemmter.
Knigge und die Du-oder-Sie-Regel
Adolfph Knigge (1752–1796) werden bis heute die uns bekannten "Benimmregeln" zugesprochen. Dabei soll er, laut Wikipedia, kaum etwas damit zu tun gehabt haben. Zwar habe er ein größeres Werk geschrieben, welches den "Umgang mit dem Menschen" beschreibt, aber die ersten klassischen Benimmregeln kommen wohl von jemand anderem, nämlich von Erasmus von Rotterdam (1466–1536).
Es gibt also mehrere "Benimmbücher".
Ich würde mal sagen, das von Erasmus und das von Knigge sind schon lange nicht mehr zeitgemäß. Andere Zeiten, andere Sitten. Deshalb hat sich die Autorin Erica Pappritz in der Adenauer-Ära als stellvertretende Protokollchefin im Auswärtigen Amt eingemischt und bei dem ausführlichen Benimm-Regel-Buch "Buch der Etikette" mitgewirkt, welches für die Bundesrepublik gelten sollte. Nicht nur die Politiker frotzelten darüber, auch die Presse ließ kein gutes Haar an dem Buch. Deshalb setzte sich dieses auch nicht durch und kein Mensch kennt es.
Knigge aber kennt jeder. Deshalb schauen wir mal, was Knigge über das Du und das Sie meint:
"Du" oder "Sie"
Jede volljährige Person hat nach allgemeiner Auffassung ein Recht darauf mit „Sie“ angesprochen zu werden. Dies ist die Regel, das „Du“ demnach die Ausnahme.
Eine andere moderne Knigge-Seite (Knigge2Day) wird da schon etwas ausführlicher. Sie haben in ihrer Knigge-Weisheit erkannt, dass das Du auf dem Vormarsch ist und zwar rasant. Vor allem in bestimmten Kreisen stellt sich die Frage nach dem Sie schon gar nicht mehr. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.
Dazu gibt es noch eine 22-seitige PDF über das Duzen und das Siezen:
Wie sieht das bei Dir/Ihnen aus?
In meinem Augen gibt es durchaus typische Du-Menschen und typische Sie-Menschen. Ok, die dazwischen, die Anpasser, gibt es natürlich auch, aber über die will ich hier nicht schreiben.
Es gibt Menschen, die siezen erstmal von vornherein jeden, außer Kinder. Wenn sie könnten, würden sie vielleicht auch gerne das tun. Da könnte man fast meinen, sie bekommen das Du nicht über ihre Lippen, weil sie damit etwas von sich preisgeben, sich ein Stück weit öffnen. Denn das Sie gilt als förmlich und das Du als freundschaftlich.
Der Duden beschreibt förmlich als:
- durch Vorschrift angeordnet; offiziell, formell
- die Höflichkeitsformen peinlich genau beachtend und dabei oft konventionell, steif, unpersönlich
- regelrecht; wahrhaft, geradezu
Synonyme dazu:
- amtlich, formell, offiziell, vorschriftsgemäß
- formell, geschäftlich, gezwungen, höflich, in aller Form, konventionell, steif, unpersönlich; (bildungssprachlich) zeremoniell
- buchstäblich, direkt, geradezu, praktisch, regelrecht, richtiggehend, wahrhaft; (gehoben) nachgerade
Wer siezt, stellt gleich mal eine gewisse Distanz auf. Nur nicht zu freundschaftlich. Erstmal abwarten, was kommt, wie es sich entwickelt. Dann kann man ja immer noch. Das Sie ist zudem sachlich, also geht es dabei um die Sache an sich und nicht um persönliche Gefühle. Wer sachlich bleiben und die Form wahren will, der sollte beim Sie bleiben. Hier haben Emotionen keinen Platz.
Du, Du, Du
Dieses dreifache Du ist für Siezer wie ein Schlag ins Gesicht. Respektlos, persönlich, eindringend. Ein Duzer hingegen fühlt sich geehrt, so viel Vertrauen auf einmal zu erhalten. Wir Duzer brauchen die Brücke des Siezens erst gar nicht begehen. Wir treffen uns gleich auf der freundschaftlichen vertrauensvollen Ebene. Duzer erkennen sich sofort untereinander. Da stellt sich die Frage nach dem Du oder Sie erst gar nicht.
Der Duzer empfindet ein Sie als störend, irritierend. Sucht er doch immer den freundschaftlichen menschlichen Kontakt. Der Einfachheithalber würde der Duzer gerne von vornherein alle Menschen duzen. Er respektiert aber, wenn sich ein Siezer durch das Duzen verletzt fühlt.
Duzer tun sich schwer damit das hierarchische Sie anzuwenden. Gerade im Geschäftsleben ist das Sie ein Zeichen von Rang. Der Ranghöhere entscheidet stets, ob er geduzt werden darf oder nicht. Oft erleben wir es, dass der Ranghöhere den Rangniedrigeren duzt, umgekehrt aber ein Sie verlangt, z. B. ein kaufmännischer Angestellter gegenüber einem Arbeiter. Gerne werden auch in unserer Gesellschaft für niedrig gehaltene Arbeiter von allen generalmäßig geduzt, ein Straßenkehrer oder Bauarbeiter z. B. wird eher geduzt als gesiezt. Einem Bankangestellten gegenüber käme man nicht einmal auf die Idee ihn zu duzen. Dieser Umgangston hat sich eingebürgert und zählt zu den ungeschriebenen Gesetzen. Auch Ausländer werden gerne auf Anhieb geduzt. Vielleicht denken manche, die haben keine Ahnung von Du und Sie. Oder man setzt sie im Rang gleich mal zumindest auf Augenhöhe, wenn nicht sogar eine Stufe niedriger.
Verrückt? Beglückt!!!
Eines meiner Lieblingsbücher heißt:
Ingrid Lipowsky hat es geschrieben und sich dabei auf das Glücklichsein im Alter konzentriert. Ich jedoch finde: Diese Gebrauchsanleitung muss nicht auf das Alter beschränkt werden, sondern kann durchaus für alle gelten.
Zwar geht es in dem Buch primär um die etwas betagte Anni, die ihre letzten Tage in einem Altersheim verbringt und auf eine ziemlich verrückte Art das ganze Heim aufmischt, doch was mir am besten gefallen hat, ist die unaufdringliche Weise jedem das Du anzubieten. Auch dem Heimleiter und ein paar stocksteifen Mitbewohnern.
Ein paar Heimbewohner sind sogar der Meinung Anni sei ein Engel, nein, sie muss ein Engel sein. Kein Mensch kann so herzlich, freundlich, fröhlich, aufgeschlossen und weise sein. Nicht nur ihre warmherzige Art sondern auch das Du hat eine ansteckende Wirkung. Das Du bricht Barrieren, Mauern, Blockaden, führt zusammen, was zusammen gehört.
Dabei zwängt sie es niemandem auf, bietet es aber jedem an. Alle dürfen selbst entscheiden, ob sie geduzt werden wollen oder nicht. Am Anfang spalten sich die Heimbewohner, mit der Zeit jedoch entsteht ein Wir-Du-Gefühl, welches so immense Auswirkungen hat, dass es dem einen oder anderen danach sehr viel besser geht. Am Schluss duzen sich alle.
Dabei ist es etwas völlig anderes, ob man sich von Anbeginn duzt (z. B. bei der Arbeit oder innerhalb der Familie) oder ob das Du unter Siezern erst eingeführt wird. Manchen Siezern muss man das Duzen erst beibringen. Die sind schon so konditioniert, dass sie es richtig erlernen müssen, zumindest bei Fremden. Bei Annie erkennt man den therapeutischen Effekt, der sich langsam entwickelt und am Ende allen Beteiligten gut tut. Das ist das Wundervolle daran.
Ich kann dieses Büchlein nur wärmstens empfehlen. Vor allem jedem Siezer :-)
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